P. Erhart (Hg.): Fürstabt Celestino Sfondrati

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Titel
Fürstabt Celestino Sfondrati von St. Gallen 1696 als Kardinal in Rom.


Herausgeber
Erhart, Peter
Erschienen
Wien / Köln / Weimar 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
724 S.
von
Arne Karsten, Seminar für Geschichte, Bergische Universität Wuppertal

Luigi Sfondrati, geboren am 10. Januar 1644 in Mailand, muss ein schwieriges Kind gewesen sein. So schwierig, dass seine Mutter sich nicht anders zu helfen wusste, als ihn im Alter von zwölf Jahren in die Obhut des Benediktinerklosters von St. Gallen zu geben. Die Massnahme zeitigte nachhaltigen Erfolg. Schon bald wurde aus dem Sorgenkind ein Musterknabe, der am 6. Mai 1660 die Profess ablegte, dabei den Ordensnamen Celestino annahm, und am 26. Mai 1668 die Priesterweihe erhielt. Schon im Jahr zuvor war er als Professor für Theologie nach Kempten geschickt worden, unterrichtete dann ab 1669 in St. Gallen Philosophie, ab 1671 Theologie, um 1679 an der Salzburger Benediktineruniversität zum Dr. theol. und utr. jur. promoviert zu werden und im Anschluss daran bis 1683 dort zu lehren. Als Autor zahlreicher theologischer und kanonistischer Schriften erlangte er einen glänzenden Ruf, wurde 1687 zum Fürstabt von St. Gallen gewählt und am 12. Dezember 1695 von Innozenz XII. Pignatelli (1691–1700) zum Kardinal ernannt. Als solcher reiste er im Januar 1696 über den verschneiten Splügen-Pass nach Rom, wo der Kardinal mit seinem Gefolge Anfang Februar eintraf und fortan als aussichtsreicher Kandidat für das nächste Konklave galt, das er jedoch nicht mehr erleben sollte. Er starb bereits am 4. September 1696 und fand seine letzte Ruhestätte in S. Cecilia, wo auch sein Onkel, Kardinal Paolo Emilio Sfondrati, Neffe Papst Gregors XIV. (1590/91), beigesetzt worden war.

Aus der Zeit des kurzen Kardinalats Celestino Sfondratis hat sich ein reichhaltiger Aktenbestand im Stiftsarchiv St. Gallen erhalten, der nun von einem Forscherteam unter der Leitung von Stiftsarchivar Peter Erhart ediert worden ist, und zwar in mustergültiger Form. Der dabei entstandene Band enthält eine allgemeine Einführung des Herausgebers, einen prosopographischen Überblick zu Celestino Sfondrati und seiner Familie (Giuanna Beeli) und Anmerkungen zum römischen Palazzo des Kardinals (Federica Germana Giordani); es folgen kurze Beiträge zu jenen Personen aus dem Gefolge des Kardinals, die schriftliche Dokumente hinterlassen haben, nebst editorischen Notizen (von Helena Müller, Peter Erhart, Christoph Uiting, Giuana Beeli und Federica Germana Giordani). Der anschliessende Hauptteil, die Edition, enthält Protokolle der Feierlichkeiten anlässlich der Kardinalsernennung; Reisetagebücher und Notizen von Angehörigen des Hofstaats (die lateinischen auch in deutscher Übersetzung); eine kurze italienische Vita des Kardinals; Korrespondenzen; Rechnungen und Quittungen aus der Hofhaltung des Kardinals in Rom; Urkunden; ein umfangreiches Register von Korrespondenzen und Rechnungen sowie einen Abbildungsteil, vor allem mit Fotografien von schriftlichen Originaldokumenten und Porträts Celestino Sfondratis. Der Anhang schliesslich bietet ein Glossar italienischer Wörter, Verzeichnisse zu «Währungen, Münzen, Massen und Gewichten»; «Währungen und Abkürzungen der Apotheker», Abkürzungsverzeichnis, Personenregister und Ortsregister. Besser lässt sich ein Archivbestand für die Forschungsarbeit nicht erschliessen.

Und der Inhalt dieses Archivbestandes verdient eine so liebevoll-gründliche Erschliessung vollkommen. Was findet sich nicht alles im schriftlichen Niederschlag, den das kurze Kardinalat Sfondratis in den St. Galler Archivbeständen hinterlassen hat! Die Reiseberichte entwerfen ein anschauliches Bild von den Mühen frühneuzeitlichen Reisens, aber auch von seinen mitunter erstaunlichen Freuden, etwa wenn Pater Hermann Schenk unter dem 29. Januar 1696 von dem Festmahl berichtet, das Herzog Rinaldo d’Este von Modena zu Ehren des Kardinals gab, und sich der Leser bei der Lektüre dieses Berichtes fragt, wo um alles in der Welt in dieser Jahreszeit der frische weisse Spargel («asparagi albi recentes», S. 132) hergekommen sein mag. Die zahlreichen Gratulationsschreiben zur Kardinalserhebung lassen Rang und Reichweite der Netzwerke eines adligen Kardinals um 1700 deutlich werden, Berichte über die Exerzitien des Kardinals die Spiritualität dieses Kirchenfürsten nicht weniger anschaulich zu Tage treten. Es finden sich detaillierte Informationen zum Verlauf der Krankheit des Kardinals ebenso wie zu den Behandlungsmethoden der Ärzte, zu Personalbestand und Kosten der Hofhaltung in Rom, zum Ansehen Sfondratis, das dieser bei Innozenz XII. genoss, der angesichts von dessen schlechtem Gesundheitszustand seufzte: «Es wäre besser, wenn ich stürbe, als dieser Kardinal» (S. 185) – fast willkürlich herausgegriffene Beispiele für den Reichtum an Einblicken in das Leben eines Kardinals, aber, allgemeiner noch: die Lebenswelt der Frühen Neuzeit, die eine Quellenedition eröffnet, der man nur eine reiche und fruchtbare Rezeption wünschen kann.

Zitierweise:
Karsten, Arne: Rezension zu: Erhart, Peter (Hg.): Fürstabt Celestino Sfondrati von St. Gallen 1696 als Kardinal in Rom, Köln 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 516-518. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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